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Jährlich 180.000 Bandscheibenvorfälle in Deutschland

Oberarzt Dr. Horst Balling Ein Expertengespräch mit Dr. Horst Balling von den Neckar-Odenwald-Kliniken

Dr. Horst Balling arbeitet seit Januar 2017 als Oberarzt der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Wirbelsäulenchirurgie am Standort Buchen der Neckar-Odenwald-Kliniken. Die Behandlung von Bandscheibenvorfällen gehört zu seinen fachlichen Schwerpunkten. Im Gespräch zeigt er einige wissenswerte Aspekte zu einem Thema auf, mit dem viele Menschen im Laufe ihres Lebens in unangenehme Berührung kommen. Einschlägige Quellen sprechen von gleichbleibend circa 180.000 Menschen, die sich in Deutschland pro Jahr einen Bandscheibenvorfall zuziehen. An häufigsten ist dabei die Lendenwirbelsäule betroffen, danach die Halswirbelsäule, am seltensten die Brustwirbelsäule.

Bevor er näher auf das Geschehen bei einem Bandscheibenvorfall eingeht, beschreibt Dr. Balling die Beschaffenheit und Funktion von Bandscheiben: „Bandscheiben sind eine Art Puffer im Gesamtkonstrukt ‚Wirbelsäule‘. Der Kern der Bandscheiben besteht aus einer gallertartigen Flüssigkeit mit hohem Wasserbindungsvermögen und wird von einem elastischen, faserigen Ring aus festem Bindegewebe umschlossen. Die 23 Bandscheiben sind durch ihre Beschaffenheit in der Lage, den Druck, der beim Laufen, Springen und Stehen auf die Wirbelsäule wirkt, zu dämpfen. Im höheren Lebensalter verlieren die Bandscheiben aber die Fähigkeit, Wasser zu binden. Sie büßen ihre ursprüngliche Elastizität und damit die Fähigkeit zur Stoßabfederung ein.“

Welche Formen von Bandscheibenvorfällen gibt es?

Bei einem Bandscheibenvorfall entstehen Risse im Faserring, wodurch Anteile des Gallertkerns austreten können. Die Größe eines solchen Austritts und der konkrete Ort, zu dem sich die ausgetretene Masse hinbewegt, bedingen dann die spezifische Symptomatik. Dr. Balling weist darauf hin, dass schon die Vorstufe des Bandscheibenvorfalls schmerzhaft sein könne. Dabei sei der Faserring zwar noch intakt, allerdings so geschwächt, dass sich die Bandscheibe in den Rückenmarkskanal vorwölbe. Zu den Arten und Schweregraden der Vorfälle unterscheidet der Orthopäde folgende Kriterien: Größe des Vorfalls, räumliche Lage des Vorfalls und das Alter des Vorfalls.

Als „Supergau“ bei den Vorfällen bezeichnet Herr Balling den sogenannten „Massenvorfall“, bei dem eine große Menge an Bandscheibengewebe in den Spinalkanal gelange und dort eine erhebliche Anzahl an Nerven quetsche, wodurch je nach Anzahl der betroffenen Nerven die Beine, der Mastdarm und die Harnblase am Funktionieren gehindert werden können. Bei rechtzeitiger Reaktion sei aber auch diese schwere Art des Vorfalls erfolgreich behandelbar.

Hinsichtlich der räumlichen Position von Bandscheibenvorfällen nennt Dr. Balling zunächst die zentrale Lage direkt in der Mittellinie des Spinalkanals. In dieser Position bleibe ein Vorfall für die Betroffenen meist ohne spürbare Folgen, da Nervenleitungen erst bei erheblicher Vorfallgröße tangiert werden. Ist der Vorfall an der linken oder rechten Seite des Spinalkanal positioniert, dann führe dies zu „einseitigen Schmerzen und Ausfällen im linken oder rechten Bein. Bei einer Lage des Vorfalls außerhalb des Spinalkanals seien ebenfalls einseitige Beschwerden im Bein die Folge.

Bei einem Bandscheibenvorfall komme es – so Dr. Balling weiter – meist zu einer sogenannten „Sequestrierung“: „So werden Bandscheibenanteile genannt, die sich von ihrem ursprünglichen Herkunftsort abgelöst und an einen anderen Ort verlagert haben. Bei einem Bandscheibenvorfall entsteht ein Sequester durch den Austritt von Bandscheibengewebe aus dem Bandscheibenfach mit eventuellem Verlust des Kontakts zum originären Bandscheibenfach. Solche Bandscheiben-Sequester treten vor allem im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule auf. Sie können sich von ihren Ursprungsorten nach oben oder unten verlagern und Druck auf unterschiedliche Nervenstränge ausüben.“

Schließlich sei das Alter eines Vorfalls ein weiteres wichtiges Kriterium zur Beurteilung. Frische Vorfälle seien weich und übten häufig geringeren Druck auf benachbarte Nerven aus, während ältere und damit härtere Vorfälle stärkeren Druck auf betroffene Nerven ausüben können und bei einer Operation schwieriger abzutragen seien. Durch ihr Austrocknen verlören die Vorfälle aber im Laufe der Zeit auch an Volumen, was zu einer Minderung oder einem kompletten Nachlassen des Drucks auf die Nerven führen könne.

Operieren oder konservativ Therapieren? Eine nicht immer einfach zu beantwortende Frage

Ob es klare Kriterien gibt, die eine Bandscheibenoperation nahelegen, beantwortet Dr. Balling wie folgt: „Eine OP-Entscheidung bei Bandscheibenvorfällen hat sich immer an dem Risiko zu orientieren, ob Nervenschäden und damit verbundene Bewegungseinschränkungen drohen, bleibend zu werden. Weder der dokumentierte Nachweis von Bandscheibenvorfällen, noch ein großes Schmerzempfinden von Betroffenen sind für uns Ärzte hinreichende Gründe, eine Operation zu empfehlen. Wobei es in vielen Fällen die Patienten sind, die wegen starker Schmerzen in den Beinen eine Operation wünschen. Es ist unsere Aufgabe, zusammen mit den Betroffenen zu prüfen, ob durch den Bandscheibenvorfall komprimierte Nerven auch auf andere Weise entlastet werden können, oder ob eine OP unumgänglich ist.“

An den Neckar-Odenwald-Kliniken am Standort Buchen gestaltet sich dies nach Schilderung von Dr. Balling wie folgt: „Die meisten Patienten, die mit einem Bandscheibenvorfall zu uns kommen, haben deutliche Beschwerden in den Beinen. Bei einem stationären Aufenthalt von drei bis vier Tagen erfolgt eine genauere Diagnostik sowie in vielen Fällen eine Behandlung mit Kortison. Dadurch sind Reizzustände zurückzudrängen, entzündete Nerven schwellen ab und können bei nachlassendem Druck und geringerem Schmerzlevel ihre Funktionen erfüllen.“

Auf diese Weise ergebe sich ein klareres Bild und eine bessere Grundlage für die Entscheidung für oder gegen eine Operation. Deshalb komme es – so Dr. Balling – auch bisweilen vor, dass Patienten mit Bandscheibenvorfall nach einem kurzen Aufenthalt ohne OP entlassen werden. Diesen Patienten werden dann konservative Maßnahmen empfohlen, wozu sogenannte „Infiltrationsbehandlungen“ (Spritzen-Therapie), lokale Wärmeanwendungen und physiotherapeutische Übungen zählen.

Erweist sich eine Operation als sinnvoll, dann haben die Patienten, so die gängige Praxis an den Neckar-Odenwald-Kliniken, mit etwa sieben Tagen Aufenthaltsdauer in der Klinik zu rechnen. Dabei nennt Dr. Balling für die Klinik Buchen als Regelaufenthalt nach erfolgtem operativem Eingriff durchschnittlich fünf Tage. Er erwähnt dabei, dass die deutlich schlechtere versicherungsrechtliche Situation in den USA dazu führe, dass Patienten nach identischem Eingriff dort bisweilen nur einen Tag in der Klinik blieben.

Hinsichtlich der Operationstechnik habe sich in den letzten Jahren keine wesentliche Neuentwicklung gezeigt. Der größte diesbezügliche Fortschritt in jüngerer Zeit seien die minimalinvasiven Zugänge, durch die man größere Wunden und die damit für den Patienten verbundenen Unannehmlichkeiten vermeiden könne. Wobei minimalinvasive Eingriffe schon länger zu den medizinischen Standards gehören. Heute stehen mehrere minimalinvasive Operationstechniken zur Verfügung, die alle das Ziel haben, die gequetschte Nervenwurzel durch die Befreiung von vorgefallenem Bandscheibengewebe zu entlasten.

Bei der offenen mikrochirurgischen Vorgehensweise, die an den Neckar-Odenwald-Kliniken in Buchen praktiziert werden, erlaubt ein circa 3-5 cm großer Schnitt den Zugriff auf sequestriertes Bandscheibengewebe und damit eine Entlastung der gequetschten Nervenwurzel.

Da die operierenden Ärzte bei solchen Eingriffen mit höchster Präzision vorgehen, gehört während der Operation eine absolute Bewegungslosigkeit der Patienten zu den wichtigsten Voraussetzungen. Dies erklärt auch, warum Bandscheiben-Operationen immer unter Vollnarkose stattfinden.

Risikogruppen und Prävention

Die Frage nach Risikogruppen und Präventionsmöglichkeiten in Bezug auf Bandscheibenvorfälle beantwortet Dr. Balling zurückhaltend: „Sportartbezogene Dispositionen zu Bandscheibenvorfällen sind nicht bekannt. Ebenso wenig kenne man Berufsarten, die ein erhöhtes Risiko aufweisen. Man könne lediglich sagen, dass Menschen mit Bindegewebsschwäche verstärkt zu Vorfällen neigen. Auch spezifische Formen des Wirbelsäulenprofils, wie die sogenannte Hyperlordose oder segmentale Kyphosen, könnten als Disposition gesehen werden. Hinsichtlich einer Prävention gäbe es eigentlich keine konkreten Empfehlungen. Pauschal sei zu raten, die Wirbelsäule nicht dauerhaft durch übermäßiges Gewicht zu belasten, vor allem nicht in Positionen mit vornüber geneigtem Oberkörper.“

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